Streikaufrufe der Gewerkschaften und „Arbeitsstreiks“
Unserem Dachverband, der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA), werden Sachverhalte angezeigt, bei denen – so der Kenntnisstand – einzelne Tarifbeschäftigte, Auszubildende und Praktikant*innen ohne erkennbaren kollektiven Bezug zu sog. Arbeitsstreiks aufgerufen werden. Zu diesen Vorgängen sowie zu den Streikmaßnahmen der Gewerkschaften weisen wir unter Bezugnahme auf die Arbeitskampfrichtlinien der VKA (Stichworte „Streik“ und „Streikaufruf“ auf Folgendes hin:
- „Arbeitsstreiks“
Der Vorgang des „Arbeitsstreiks“ spielt sich nach ersten Erkenntnissen wie folgt ab: Dem Arbeitgeber wird erklärt, dass externe ver.di-Vertreter den Betrieb betreten und sich dann mit mehreren Beschäftigten in einen Besprechungsraum zurückziehen, um dort etwas zu erarbeiten (alternativ: um eine Schulung durchzuführen). Es stellt sich jedoch heraus, dass die ver.di-Vertreter während des Aufenthalts im Betrieb Beschäftigte am Arbeitsplatz ansprechen und für die Teilnahme an künftigen Streiks werben. Auch Beschäftigte selbst haben sich an dieser „Streik-Werbung“ beteiligt. ver.di berichtete später öffentlich von einer erfolgreichen Aktion und von einem „Ansprache-Training“. Zu solchen Fällen sehen wir die Rechtslage wie folgt:
Werbung/Motivation zur Teilnahme an zukünftigen Streiks
Werden von den Gewerkschaften einzelne Tarifbeschäftigte, Auszubildende oder Praktikant*innen namentlich zur Teilnahme an einem (zukünftigen) Streik motiviert, sind diese Einzelaufrufe nicht als Streikaufrufe im Rechtssinne anzusehen. Streik ist die gemeinschaftliche Vorenthaltung der Arbeitsleistung zum Zwecke der Druckausübung auf den Arbeitgeber. Entschließt sich die Gewerkschaft zur Durchführung von Kampfmaßnahmen, ergeht ein Streikaufruf. Dieser enthält Angaben über das Streikziel, die Festlegung des Streikbeginns und bestimmt Art und Umfang des Streiks.
Vor diesem Hintergrund liegt bei dem o. g. Sachverhalt kein Streik bzw. Streikaufruf vor, sondern es handelt sich um eine „Streik-Werbung“. Sodann ist abzugrenzen zwischen der Mitgliederwerbung über das Verteilenvon Handzetteln und der darüber hinausgehenden Diskussion und Ansprache (siehe dazu Stichwort „Gewerkschaft“ in den Arbeitskampfrichtlinien der VKA). Das von Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG gedeckte Zutrittsrecht der Gewerkschaft in einen Betrieb bezieht sich nur auf die Mitgliederwerbung. Streikvorbereitungshandlungen bzw. die Streikmobilisierung gehören nicht dazu, so dass der Arbeitgeber den Gewerkschaftsvertreter*innen den Zutritt zum Betrieb und die Anwesenheit im Betrieb verweigern kann.
Die Beschäftigten, die sich an der „Streik-Werbung“ beteiligen, können (und sollten) vom Arbeitgeber angewiesen werden, die Arbeit wieder aufzunehmen und aufgefordert werden, zukünftig solche Handlungen zu unterlassen.
Aufruf zum „Arbeitsstreik“
Sofern Beschäftigte zu Vorbereitungshandlungen zu Arbeitskämpfen während der Arbeitszeit aufgerufen werden, handelt es sich ebenfalls nicht um einen Streik.
Aufrufe für einzelne namentlich benannte Personen erfüllen diese Voraussetzungen nicht. Sie bewirken daher, wenn sie von den Beschäftigten befolgt werden, keine Suspendierung von der Arbeitspflicht, so dass u. E. ein vertragsbrüchiges Verhalten vorliegt. Ein Anspruch auf Entgeltzahlung besteht für den Zeitraum der Teilnahme an Vorbereitungshandlungen nicht.Der Arbeitgeber hat die betreffenden Personen hierüber zu informieren und dazu aufzufordern, die Arbeit wieder aufzunehmen.
Kommt es zur Niederlegung der Arbeit im Rahmen eines „Arbeitsstreiks“, kann aufgrund dieser Arbeitsverweigerung an Sanktionen wie eine Abmahnung bis hin zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses gedacht werden (siehe Stichwort „Sanktionen“ in den Arbeitskampfrichtlinien der VKA). Sanktionen sollten vor ihrer Durchführung arbeitsrechtlich sorgfältig geprüft und abgewogen werden. - „Echte“ Streikaufrufe
Sollten dagegen Streikaufrufe von den Gewerkschaften unter Beachtung des Streikrechts ausgesprochen werden, ist auf Folgendes hinzuweisen:
- Der Arbeitgeber muss Streikmaßnahmen nicht im Betrieb dulden. Bei zulässigen Arbeitskampfmaßnahmen besteht keine Arbeitspflicht und damit kein Erfordernis, sich am Arbeitsplatz aufzuhalten (siehe Stichwort „Zutrittsrecht“ in den Arbeitskampfrichtlinien der VKA). Der Arbeitgeber kann die streikenden Beschäftigten also auffordern, den Arbeitsplatz bzw. den Betrieb zu verlassen.
- Unzulässig ist auch die Abhaltung von Streikversammlungen im Betrieb.
- Zum Abschluss von Notdienstvereinbarungen (Stichwort „Notdienstvereinbarung“ in den Arbeitskampfrichtlinien der VKA) verweisen wir auf die Muster einer Notdienstvereinbarung in Abschnitt E Anhänge 2 bis 4 der Arbeitskampfrichtlinien. Sollten Notdienstvereinbarungen von den Gewerkschaften vorgelegt werden, weisen wir auf die von den Gewerkschaften häufig verwendete und für Arbeitgeber problematische Regelung zur Besetzung von Stationen im Pflegebereich hin („Soweit im Pflegedienst durchgeführte Streikmaßnahmen dazu führen werden, dass in einzelnen Stationen/Bereichen die in § 2 geregelte Besetzung voraussichtlich nicht aufrechterhalten werden kann, wird die Gewerkschaft ver.di diese Stationen/Bereiche unter Angabe des Umfangs der zusätzlichen Einschränkungen mit folgender Mindestankündigungsfrist schriftlich anzeigen: » Auswirkungen auf einzelne Bettenkapazitäten - 3 Kalendertage; » Auswirkungen auf alle Betten einer Station/eines Bereiches - 6 Kalendertage. Mit der Frist- und formgerechten Mitteilung reduziert sich der in § 2 geregelte Umfang der Besetzung entsprechend). Aus Sicht der VKA ist die Vereinbarung einer solchen Regelung zu vermeiden.
- Kommt eine Notdienstvereinbarung nicht zustande, können die Notdienstarbeiten einseitig vom Arbeitgeber festgelegt werden, siehe auch das Urteil des Arbeitsgerichts Saarbrücken vom 20.04.2016 - 2 Ga 8/16 -). Hierzu verweisen wir auf das Muster für eine Notdienstbestellung in Abschnitt E Anhang 5 der Arbeitskampfrichtlinien.
- Für die Dauer der Streikteilnahme besteht kein Anspruch auf Arbeitsentgelt (Stichwort „Entgelt“ der Arbeitskampfrichtlinien der VKA). Der Entgeltabzug ist in jedem Fall vorzunehmen. Dies gilt auch für arbeitswillige Beschäftigte, die wegen der Arbeitskampfmaßnahmen in ihrer Verwaltung/in ihrem Betrieb nicht beschäftigt werden können. Auch sie haben für die ausgefallene Arbeitszeit keinen Anspruch auf Gewährung von Arbeitsentgelt. Zu den weiteren Auswirkungen einer Streikteilnahme, z. B. hinsichtlich der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall oder bei Urlaub, wird auf die entsprechenden Stichworte in den Arbeitskampfrichtlinien verwiesen.
- Für die Information der Beschäftigten über die Auswirkungen einer Beteiligung an Arbeitskampfmaßnahmen auf das Arbeitsverhältnis verweisen wir auf das Muster eines Rundschreibens an die Beschäftigten in Abschnitt E Anhang 6 der Arbeitskampfrichtlinien.
Ergänzend weisen wir auf die Checkliste bei Arbeitskämpfen (Abschnitt B der Arbeitskampfrichtlinien) hin. Die Arbeitskampfrichtlinien vom 15. September 2020 stehen hier zum Herunterladen zur Verfügung.